Giesing ist ein dezentral gelegener Stadtteil im Südosten Münchens, der früher Arbeiter:innenviertel war. München blickt auf eine reiche Geschichte von Exil und Migration zurück, doch gibt es derzeit kein Denkmal, das Exilant:innen und Migrant:innen verschiedener Backgrounds und Zeiträume ehrt. Es fehlt an öffentlich zugänglichem Wissen über kreative Persönlichkeiten, die in Giesing gelebt und gearbeitet haben. Um diese Lücke zu schließen, sammelt der Erinnerungsmensch aktiv Informationen und Erinnerungen von Stadtteilbewohner:innen und Personen, die mit Exil und Migration in Giesing verbunden sind. Das Gesammelte wird in Form von kreativem Ausdruck für die Zukunft bewahrt und mit der Öffentlichkeit geteilt, unter anderem im Rahmen der Stadtspaziergänge. Teilnehmer:innen sind eingeladen, die Kunstwerke zu tragen und etwas über ihre Schöpfer:innen und deren Geschichten zu erfahren. Gemeinsam mit den Teilnehmer:innen besucht der Erinnerungsmensch Orte mit Exil und Migrationsgeschichte, diskutiert über deren heutige Bedeutung und kommt mit Passant:innen auf dem Weg ins Gespräch.
Der Spaziergang führt unter anderem zum Giesinger Ostfriedhof, wo Hans Steyer begraben ist. Er wird im gleichnamigen Buch von Karl Stankiewitz, das 2019 erschien, als eines der „Münchner Originale“ vorgestellt. Das Buch enthält eine Fotosammlung von Karl Valentin, einem bekannten Münchner Komiker. Es stellt exzentrische Persönlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts vor, darunter Künstler:innen, Musiker:innen, Philosophen:innen, Gastwirte, Schauspieler:innen und andere schrullige Figuren der Münchner Subkultur. Ein besonders faszinierender Charakter ist Hans Held, damals stadtbekannt als der „Reklame-Mensch“. Während er durch's Viertel zog und seine Waren verkaufte, schenkten ihm Anwohner:innen und Passant:innen verschiedene Gegenstände, die er dann an seinem Outfit befestigte. Diese Interaktion mit Objekten im öffentlichen Raum inspirierte den Erinnerungsmensch zu seiner aktiven Auseinandersetzung mit Anwohner:innen und Passant:innen.
Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen des Stadtspaziergangs besucht der Erinnerungsmensch Straßenzüge in Giesing, in denen während der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter:innen inhaftiert waren. Während des Zweiten Weltkriegs gab es in München ein dichtes Netz von etwa 250 Lagern und Quartieren unterschiedlicher Größe und Art für ausländische Arbeitskräfte. Diese Situation ergab sich vor allem aus den erfolgreichen Militäraktionen des nationalsozialistischen Deutschlands gegen Polen, Frankreich, Belgien, Dänemark und die Niederlande. In deren Folge wurden vor allem weibliche Bürger:innen dieser Länder inhaftiert, um den Arbeitskräftemangel in Deutschland auszugleichen. Am Giesinger Bahnhof waren im „Mollblock“ etwa 500 überwiegend polnische Zwangsarbeiter:innen untergebracht, die noch 1944 für die Firma Agfa, ein große ehemalige Fabrik in Giesing, arbeiteten. Die Geschichten der Menschen, die - freiwillig oder unfreiwillig - in der Agfa-Kamerafabrik arbeiteten, illustrieren ein komplexes Geflecht von Exil- und Migrationsbewegungen. Diese Geschichten umfassen nicht nur die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die Gastarbeiter:innen-Migration der 1950er bis 1970er Jahre. In den 1990er Jahren wurden die Werkswohnungen der Firma Agfa in der Untersbergstraße durch die Regierung von Oberbayern als Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber:innen genutzt.
Eine weitere Station ist ein ehemaliges Denkmal am Giesinger Berg, das sich an der Stelle der Hofmauer in der Silberhornstraße befindet. Das Freikorpsdenkmal, ein 10 Meter hohes Halbrelief eines Freikorps-Soldaten, der symbolisch der "Schlange der Revolution" den Kopf zerquetscht, ist seit 1948 verschollen. Der Bildhauer Ferdinand Liebermann wurde 1937 vom Kulturministerium mit der Schaffung dieses Denkmals beauftragt, das am 3. Mai 1942 im Rahmen einer spärlich besuchten Einweihungsfeier enthüllt wurde. Das Freikorpsdenkmal wurde von den Giesingern verächtlich als „Nacktertes Lackel“ beschimpft und in der Nacht vor der Enthüllung von Ministranten mit Teer beschmiert. 1945 entfernten die amerikanischen Truppen das Denkmal bei ihrer Ankunft in Giesing.
Wir hoffen, dass Sie uns bei unserem nächsten Stadt-Spaziergang begleiten werden! Abonnieren Sie gerne unseren Newsletter, damit Sie keine Updates verpassen.
Über folgenden Link https://vimeo.com/853045149/7710d518da gelangen Sie zu einer Video-Dokumenation von Mathias Reitz Zausinger. Er hat die ersten Erinnerungsmensch-Spaziergänge im Sommer 2023 festgehalten.
Giesing ist ein dezentral gelegener Stadtteil im Südosten Münchens, der früher Arbeiter:innenviertel war. München blickt auf eine reiche Geschichte von Exil und Migration zurück, doch gibt es derzeit kein Denkmal, das Exilant:innen und Migrant:innen verschiedener Backgrounds und Zeiträume ehrt. Es fehlt an öffentlich zugänglichem Wissen über kreative Persönlichkeiten, die in Giesing gelebt und gearbeitet haben. Um diese Lücke zu schließen, sammelt der Erinnerungsmensch aktiv Informationen und Erinnerungen von Stadtteilbewohner:innen und Personen, die mit Exil und Migration in Giesing verbunden sind. Das Gesammelte wird in Form von kreativem Ausdruck für die Zukunft bewahrt und mit der Öffentlichkeit geteilt, unter anderem im Rahmen der Stadtspaziergänge. Teilnehmer:innen sind eingeladen, die Kunstwerke zu tragen und etwas über ihre Schöpfer:innen und deren Geschichten zu erfahren. Gemeinsam mit den Teilnehmer:innen besucht der Erinnerungsmensch Orte mit Exil und Migrationsgeschichte, diskutiert über deren heutige Bedeutung und kommt mit Passant:innen auf dem Weg ins Gespräch.
Der Spaziergang führt unter anderem zum Giesinger Ostfriedhof, wo Hans Steyer begraben ist. Er wird im gleichnamigen Buch von Karl Stankiewitz, das 2019 erschien, als eines der „Münchner Originale“ vorgestellt. Das Buch enthält eine Fotosammlung von Karl Valentin, einem bekannten Münchner Komiker. Es stellt exzentrische Persönlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts vor, darunter Künstler:innen, Musiker:innen, Philosophen:innen, Gastwirte, Schauspieler:innen und andere schrullige Figuren der Münchner Subkultur. Ein besonders faszinierender Charakter ist Hans Held, damals stadtbekannt als der „Reklame-Mensch“. Während er durch's Viertel zog und seine Waren verkaufte, schenkten ihm Anwohner:innen und Passant:innen verschiedene Gegenstände, die er dann an seinem Outfit befestigte. Diese Interaktion mit Objekten im öffentlichen Raum inspirierte den Erinnerungsmensch zu seiner aktiven Auseinandersetzung mit Anwohner:innen und Passant:innen.
Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen des Stadtspaziergangs besucht der Erinnerungsmensch Straßenzüge in Giesing, in denen während der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter:innen inhaftiert waren. Während des Zweiten Weltkriegs gab es in München ein dichtes Netz von etwa 250 Lagern und Quartieren unterschiedlicher Größe und Art für ausländische Arbeitskräfte. Diese Situation ergab sich vor allem aus den erfolgreichen Militäraktionen des nationalsozialistischen Deutschlands gegen Polen, Frankreich, Belgien, Dänemark und die Niederlande. In deren Folge wurden vor allem weibliche Bürger:innen dieser Länder inhaftiert, um den Arbeitskräftemangel in Deutschland auszugleichen. Am Giesinger Bahnhof waren im „Mollblock“ etwa 500 überwiegend polnische Zwangsarbeiter:innen untergebracht, die noch 1944 für die Firma Agfa, ein große ehemalige Fabrik in Giesing, arbeiteten. Die Geschichten der Menschen, die - freiwillig oder unfreiwillig - in der Agfa-Kamerafabrik arbeiteten, illustrieren ein komplexes Geflecht von Exil- und Migrationsbewegungen. Diese Geschichten umfassen nicht nur die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die Gastarbeiter:innen-Migration der 1950er bis 1970er Jahre. In den 1990er Jahren wurden die Werkswohnungen der Firma Agfa in der Untersbergstraße durch die Regierung von Oberbayern als Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber:innen genutzt.
Eine weitere Station ist ein ehemaliges Denkmal am Giesinger Berg, das sich an der Stelle der Hofmauer in der Silberhornstraße befindet. Das Freikorpsdenkmal, ein 10 Meter hohes Halbrelief eines Freikorps-Soldaten, der symbolisch der "Schlange der Revolution" den Kopf zerquetscht, ist seit 1948 verschollen. Der Bildhauer Ferdinand Liebermann wurde 1937 vom Kulturministerium mit der Schaffung dieses Denkmals beauftragt, das am 3. Mai 1942 im Rahmen einer spärlich besuchten Einweihungsfeier enthüllt wurde. Das Freikorpsdenkmal wurde von den Giesingern verächtlich als „Nacktertes Lackel“ beschimpft und in der Nacht vor der Enthüllung von Ministranten mit Teer beschmiert. 1945 entfernten die amerikanischen Truppen das Denkmal bei ihrer Ankunft in Giesing.
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Über folgenden Link https://vimeo.com/853045149/7710d518da gelangen Sie zu einer Video-Dokumenation von Mathias Reitz Zausinger. Er hat die ersten Erinnerungsmensch-Spaziergänge im Sommer 2023 festgehalten.